• Jürgen Kaschube schrieb am 17.04.2024 um 13:43 Uhr:

    Hier ist zu berücksichtigen, dass es bedeutende Unterschiede zwischen Studien in der Empirischen Sozialforschung und Mitarbeiterbefragungen als Maßnahmen der Organisationsentwicklung gibt.

    In der Empirischen Sozialforschung werden möglichst exakt Merkmale von Individuen erhoben, um dann in einem statistischen Verfahren Unterschiede der befragten Individuen hinsichtlich dieser Merkmale zu prüfen.
    Die Befragten gehören nicht einem sozialen System an, sondern werden als einzelne Merkmalstragende klassifiziert und zu einer Gruppe zusammengefasst. Sie sind in diesem Sinne Befragungsobjekte, bei denen auf eine ausreichende Anzahl der Vertretung von Merkmalen und eine mögliche Kreuztabellisierung von Merkmalen geachtet wird, um vertiefte Analysen auszuführen.

    In einer Mitarbeiterbefragung ist der Blick auf die Befragten anders: sie sind Befragungssubjekte und gehören einem sozialen System an, das sich im Austausch befindet. Sie können sich für oder gegen eine Teilnahme an einer Befragung entscheiden. Ziel der Mitarbeiterbefragung ist nicht die gelungene Abbildung von Merkmalen und deren Kombinationen, sondern die Repräsentativität der Antworten für das soziale System als Ganzes und für wichtige Teile des Systems, um in einem partizipativen Folgeprozess eine Veränderung des Systems sowohl in Richtung Funktionalität und Effizienz als auch Zufriedenheit und Bindung der Beschäftigten voranzutreiben. Wenn diese Repräsentativität für das System nicht sichergestellt ist, verliert die Befragung stark an Bedeutung.

    Grundlage für die freiwillige Teilnahme der Befragungssubjekte ist in der Regel
    a) die Wahrnehmung, dass die erfragten Themen erkennbar relevant für die Arbeitsbeziehung und damit sinnvoll sind, (hierfür ist eine intensive Vorabkommunikation und eine transparente Gestaltung der Fragebogeninhalte zentral) und
    b) das gefühlte Vertrauen, dass erhobene Daten nicht missbraucht werden, um Befragte als Individuen zu identifizieren und sie für ihre Antworten zu sanktionieren

    Vor allem letzterer Punkt ist ohne positive Vorerfahrungen aus früheren Mitarbeiterbefragungen (kein Missbrauch von Antworten) meist nicht gegeben: Vertrauen muss daher meist im Folge-Prozess durch einen offenen Dialog erworben werden. Als besonders kritisch wird die Erhebung von persönlichen Daten wahrgenommen, die in keiner erkennbaren Beziehung zur Arbeitssituation stehen (u.a. Informationen über Lebensumstände oder persönliche Merkmale). Die Abfrage solcher Merkmale in einer Situation (noch) geringen Vertrauens kann zum Abbruch von Befragungen, aber vor allem durch die Kommunikation im sozialen System zur Verweigerung oder starken Reduzierung der Teilnahme führen. Solche sozialen Dynamiken können im Zeitalter von Social Media häufig beobachtet werden.

    Unsere Empfehlung:
    – intensive Vorabkommunikation über langfristige Ziele des Projekts sowie über eine partizipative Ableitung von Folgemaßnahmen, bei der ausgehend von den Befragungsergebnissen in einzelnen Arbeitsbereichen ein positiver Kompromiss zwischen Aufgaben der Organisation und individuellen Bedürfnissen erarbeitet wird;
    – eine vorsichtige Erhebung von relevanten soziodemographischen Merkmalen, die sich primär auf die Arbeitssituation beziehen (Zugehörigkeit, Rolle, evtl. Arbeitszeitmodell) und durch sehr allgemeine persönliche Merkmale ergänzt werden können (Alter, Geschlecht)

    Bitte beachten Sie:
    > Sobald durch die Erhebung von Merkmalen die gefühlte individuelle Anonymität aufgehoben wird, steigt die Gefahr der Verweigerung
    > Ein lokal orientierter Folgeprozess sollte etabliert werden, bei dem auf der Basis der Auswertung den Individuen die Chance gegeben wird, aktuelle Möglichkeiten und Begrenzung der Leistungserbringung im Team zu reflektieren und an Verbesserungen zu arbeiten
    > In diesem Prozess ist die Bereitschaft deutlich höher, auf der Basis von in der Befragung identifizierten Themen der Arbeit auch private Lebensumstände zu offenbaren, da sie immer vor der Hintergrund der Arbeitswelt reflektiert werden

    Zusammengefasst:
    Eine intensive Diskussion der Ergebnisse der Mitarbeiterbefragung im Folgeprozess ermöglicht eine verbesserte und genauere Feststellung von Problemfeldern und durch die Beteiligung wird die Bindung und Verantwortungsbereitschaft der Mitarbeitenden generell gesteigert.

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